Wie ein ominöser Vertrag an den Grundmauern der Netzneutralität bohrt. ACTA, kein unlesbarer Wälzer in weltfremdem Fachjargon, kein tonnenschweres Paper das auf dem Webauftritt der EU verstaubt. Das sog. Anti-Counterfeiting Trade Agreement, eine Art plurilaterale Übereinkunft zum Schutz des geistigen Eigentums, beschränkt sich zur Zeit auf ein 4-seitiges Wikileaks-Dokument, ist eigentlich geheim und nicht nur deswegen höchst umstritten.

Es ist eine Eigenheit des Internet. Vermeintliche Hochsicherheits-Kopierschutz-Systeme werden zuerst im Netz diskutiert und dann binnen kürzester Zeit geknackt. Hollywood-Blockbuster und Chartstürmer kursieren bereits Monate vor ihrem offiziellen Release auf einschlägigen Seiten.

So ist es kaum verwunderlich, dass letztlich auch das ursprünglich zur Geheimhaltung angedachte ACTA-Papier in die Annalen des Internet einging, wenn auch nur in groben Abrissen auf der Whistleblower-Seite Wikileaks. Man könnte auch sagen, das spärliche ACTA-Dokument ist auf Grund seiner Brisanz zum Opfer dessen geworden, was es eigentlich auszumerzen gilt, nämlich Piraterie und Missbrauch von geistigem Eigentum.

Als gewichtige Institution, die künftig in einem Atemzug mit WTO, WHO und Konsorten genannt werden dürfte, versteht sich das Anit-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) gelinde gesagt, als Komitee zur Förderung des geistigen Eigentums oder dramatischer als Heerführer im (blinden) Kampf gegen die Piraterie.

Die federführenden Köpfe sitzen in den USA, Japan, der Schweiz, Australien, Mexiko sowie einigen weiteren großen Wirtschaftsstaaten wie etwa Kanada und nicht zu vergessen in der EU-Kommission. Für die EU könnte das ACTA-Schreiben einen rechtlichen Rahmen setzen, der das mindestens gleichermaßen umstrittene Telekommunikationspaket, welches bis spätestens Frühjahr 2009 beschlossen werden soll, maßgeblich prägen würde. Konspirativ und schlicht ein Skandal warnen Datenschützer und zahlreiche NGO’s. Doch eins nach dem anderen.

Bereits im Herbst 2007 wurde seitens der EU und den USA eine Art Masterplan im Vorgehen gegen Produktpiraterie angekündigt. Wie man allerdings konkret vorgehen würde, wurde seither wohl weislich im Geheimen verhandelt. Schließlich könnten die falschen Interessensvertreter (Datenschützer etwa) zum Zug kommen und das gesamte ACTA-Verfahren in die falsche Richtung lenken.

Man sah und sieht sich durch Produktpiraterie einer grassierenden Entwicklung hilflos ausgesetzt, die der Wirtschaft immensen Schaden zufüge, die Innovation bremse, der organisierten Kriminalität eine leichte Einnahmequelle biete, sowie die Sicherheit und Gesundheit (Arzneitmittel-Fälschung) der Bevölkerung gefährde und zu allem Überdruss noch ein gewaltiges Steuerloch auftue.

Seit Juni tagen deswegen die ACTA-Partner um sich einen Ausweg aus der Misere zu überlegen. Die dem Wikileaks-Papierchen zu entnehmenden Informationen zeigen ein paar mögliche Schritte auf. Zunächst soll das Interesse geweckt und zahlreiche Länder, darunter auch Entwicklungsländer für das internationale Anliegen, geistiges Eigentum zu schützen, überzeugt werden. Dass ausgerechnet China als wohl wichtigster Knotenpunkt im weltweiten Netz der Produkt- und Patentfälschung bis heute kein Interesse an ACTA bekundet hat, dürfte den Vertretern dabei übel aufstoßen.

Ein zweiter Schritt sieht neben Bestimmungen zur Etablierung und Förderung diverser Anti-Piraterie-Maßnahmen eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit (!!!) vor. So soll etwa in der Bevölkerung ein weitläufiges Bewusstsein zum Wert von geistigem Eigentum geschaffen werden. Auch über mögliche Kollisionen der ACTA-Bestimmungen mit der Privacy und dem Datenschutz will man sich den Kopf zerbrechen.

Im dritten Schritt bewegt man sich nun endgültig auf dünnem Eis. Darin geht es ums Operative. Von Abschreckungsstrafen und verstärkten Grenzkontrollen ist die Rede, so unbürokratisch wie möglich. Generell soll die Exekutive mehr Bewegungsfreiheit im Vorgehen gegen Piraterie bekommen. Der Zerschlagung eines Fälscherrings oder der Beschlagnahme eines Mp3-Players am Flughafen muss nicht erst eine Beschwerde der Rechteinhaber am Kreativgut, geschweige denn ein richterliches OK vorangehen.

Besonders fragwürdig ist ein Passus, der Internet Service Provider (ISPs) dazu zwingen könnte mit der Content-Industrie zu kooperieren, weil eine Haftung seitens des Providers bei Copyright-Vergehen nicht ausgeschlossen werden muss. Die Provider wären demnach verpflichtet ihren gesamten Netz-Traffic auf gesetzeswidrige Inhalte zu prüfen. Noch dazu müssten die ISPs nach dem Aufspüren illegaler Inhalte dem geschädigten Rechteinhaber alle Informationen zur Identifikation des Straffälligen weiterleiten.

Jeder halbwegs versierte Netz-Admin kommentiert solche Forderungen mit einem müden Lächeln. Da öffnen sich doch Analogien zu Sarkozys HADOPI-Schnapsidee. Bleibt noch die Frage, wer in diesem Falle die Kosten für den enormen Mehraufwand der Provider tragen müsste? Wohl die pauschal-kriminalisierte Bevölkerung, die sich wehmütig nach Gelöbnissen wie Netzneutralität oder Unschuldsvermutung zurücksehnt.

Gerade im brisanten dritten Teil des spärlichen Papiers schimmern eindeutig die „Vorschläge“ von Lobbying-Gruppen aus der Wirtschaft und Vertretern der Content-Industrie durch, welche sich im Gegensatz zu China sehr wohl für ACTA interessieren, könnte das schlichte Papier doch endlich einen Ausweg aus der Krise der Musikindustrie markieren. Ein passendes Wikileaks-Dokument belegt übrigens die frappierenden Überlappungen von ACTA-Bestimmungen der Verhandlungspartner und ACTA-Vorschlägen seitens der Industrie-Lobby.

Seit ziemlich genau einem Jahr ranken sich nun Geschichten um die Causa ACTA, seit Juli wird verhandelt. Sowohl die EU-Kommission als auch die USA pochten von Anfang an auf konsequente Maßnahmen bei jeglicher Art von Piraterie. Aus den knappen Verlautbarungen die an die Öffentlichkeit gerieten lässt sich erkennen, dass die Forderungen und Empfehlungen der Industrie-Lobbyisten in den ACTA-Verhandlungen große Beachtung erfuhren, während NGO’s und Kritiker mit ihren Anliegen konsequent ausgegrenzt wurden. Diese forderten kürzlich in einem offenen Brief an die ACTA-Partner mehr öffentlichen Diskurs.

Bis Jahresende sollen die Verhandlungen zum Abschluss kommen. Out of the box heißt es dann, wenn BürgerInnen in Ländern in denen Transparenz auch Demokratie-Sache sein sollte, vor nackte Tatsachen gestellt werden. Apropos Transparenz. Was ist die Bilanz nach einem Jahr der Geheimniskrämerei? Vier Seiten Whistleblowing und die Hoffnung auf viel heiße Luft.