Ein deutscher A-Blogger hat sich mit der Bahn angelegt, welche daraufhin erzürnt mit juristischen Schritten gedroht und damit eine Lawine ungeheuren Ausmaßes losgetreten hat, die wiederum ungebremst auf die Klägerin selbst zugerast ist. Die Anatomie eines Streits.

Das Medienecho war groß, als Markus Beckedahl von netzpolitik.org seinen Zwist mit der DB in die Öffentlichkeit verlagerte. Die halbe Blogosphäre solidarisierte sich mit dem einflussreichen Blogger, zog gar die klassischen Online- wie Print-Medien mit und letztlich feierten alle die erfolgreiche Verteidigung der hart erkämpften Meinungs- und Redefreiheit. Job done und die Wichtigkeit der Blogs in ihrer Watchdog-Funktion ist um einen schweren Stein mehr untermauert.

Zuvor hatte der besagte Blogger ein heikles Dokument auf seinem Blog veröffentlicht, welches die DB in einem aus ihrer Sicht unpassenden Licht darstellte. Viel mehr als ein gemeinnütziges Logistik-Unternehmen, schien die Bahn da als Firma mit Hang zur Ausspionierung der eigenen Mitarbeiter präsentiert zu werden. Lustige Projektnamen in Stasi-Manier, etwa Projekt Thymian oder Babylon zieren das veröffentlichte Protokoll und geben Aufschluss über tiefgreifende Bespitzelungs-Aktionen der DB gegen tausende Mitarbeiter der eigenen Riege.

Zusammengefasst: Die Spitze eines Unternehmens verschwörte sich gegen die eigene Belegschaft um internen korruptiven Aktionen entgegenzuwirken und zog zur Hilfe eine ominöse externe Firma – die network Deutschland GmbH – heran, die weiß-Gott-was mit den ermittelten Daten anstellen hätte können/könnte. Zu alledem wurde niemand informiert, weder der firmeneigene Datenschutzbeauftragte, noch der Betriebsrat geschweige denn die überwachten 173.000 Mitarbeiter selbst. Ein Skandal! fand und findet Beckedahl zurecht, lud das Dokument, das ihm zwischen die Finger gekommen war ins Netz und ließ seine gut verzahnte Maschinerie aus Twitter, Blogrolls etc. den Rest tun.

Beckedahl war allerdings nicht der einzige bloggende Journalist mit einem Draht zu den richtigen Leuten von der Bahn und so lag das Dokument längst auch auf den Schreibtischen der Redaktionen klassicher Online- und Printmedien. Auch war es nicht Beckedahl der den Bahnskandal eben aufgedeckt hatte. Er war aber der einzige, der das Dokument unverblümt in voller Länge veröffentlichte, auf dass sich jede/r nach dem Credo: ich glaube es erst wenn ich es selbst sehe, seinen Reim darauf machen konnte.

"Ich veröffentliche diese Dokumente wie auch das interne Memo zur DB-Rasterfahndung, weil ich denke, dass sich jeder selbst eine Meinung bilden können sollte. Ich bin auch der Meinung, dass eine aufgeklärte Demokratie wie in unserem Lande das zulassen sollte. Und dieses Dokument ist für den öffentlichen Diskurs rund um die Überwachungsaffäre bei der Deutschen Bahn AG relevant", begründet Beckedahl sein Unterfangen.

Diese „Unverschämtheit“, die Öffentlichkeit so unvermittelt mit der nackten Wahrheit zu konfrontieren, stieß der Bahn wohl sauer auf, welche gleichauf ihre Rechtsabteilung aktivierte. Der Rest, also die Abmahnung der Bahn an Beckedahl, der daraus resultierende stramme Schulterschluss der Blogosphäre samt Multiplikatoreffekt und minutiöser Breittretung der Causa DB vs. Netzpolitik auch in den klassischen Medien, lässt sich als die anfangs zitierte Lawine beschreiben, die fortan unentwegt auf die DB zurollte.

Und dann das: Die Bahn glaubt im Lichte der Spitzelaffäre, dass ein Rückzieher wohl die beste Lösung sei, zur Schonung des eigenen Rufes. So sieht sie von weiteren juristischen Schritten gegen netzpolitik.org ab und legt damit zumindest den kleinen Skandal im großen Skandal bei. Belehrt wurde die Rechtsabteilung der DB übrigens von den Anwälten Beckedahls, die den Leuten bei der Bahn erst mal klar machen mussten, welche Folgen denn weitere rechtliche Feldzüge durch möglicherweise mehrere Instanzen für das Unternehmen nach sich ziehen würden.

Die Säbel-wetzende Community, die in einem solchen Falle loyal hinter netzpolitik.org stehen würde und, Stichwort Multiplikator-Effekt, jedes Detail akribisch ausrollen und über ein weitvernetztes System an Kanälen weiter verbreiten würde musste da nicht mal erwähnt werden.

Conclusio

Der Blogger hat stellvertretend für die gesamte Blogosphäre gesiegt, das Dokument bleibt online, die DB wird den Skandal bitter aussitzen müssen… alles Eitel Wonne. Hinter dem vorigen Satz müsste eigentlich ein dickes Fragezeichen prangen, denn ein ungeklärtes Detail, über das sich im Siegestaumel kaum jemand Gedanken macht, steht nach wie vor im Schatten der Geschehnisse. Was passiert wenn künftig irgendein Unternehmen irgendeinem Blogger den Mund verbieten möchte? Solidarisiert sich die Blogosphäre auch für B-Blogger, finden ebenjene Blogger überhaupt Gehör?

Wohl kaum. Die Bahn-Netzpolitik-Affäre hat gezeigt, dass die Blogosphäre mitsamt ihrer Multiplikator-Praktiken funktioniert und wirklich vieles bewirken kann, wenn die idealen Voraussetzungen (David Beckedahl gegen Goliath Bahn im Kontext einer ohnehin aufgeheizten Spitzelaffäre) gegeben sind. Bleibt abzuwarten was passiert, wenn der Fall Y-Blogger vs. Y-Unternehmen eintritt.

Netzpolitik zieht Bilanz

Artikel in der Zeit-Online

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