Zum demokratischen Potenzial Neuer Medien. Spätestens seit Beginn des Irak-Kriegs 2003 ist der Einfluss von Bloggern auf politische Ereignisse und Prozesse unumstritten. Unter dem Pseudonym Salam Pax berichtete etwa ein irakischer Architekt während der Invasion der US-Truppen im Irak vom Leben der Bevölkerung in Bagdad, dementierte Pressemeldungen am laufenden Band und lieferte eine kritische Alternative zur westlichen Kriegsberichterstattung. Zweifelsohne stellen derartige Projekte eine neue Qualität in der Umsetzung der Meinungsfreiheit dar, doch inwiefern kann hier das Internet zu einer generellen Demokratisierung der Gesellschaft beitragen?

Bereits in den 1930er-Jahren formulierte Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie die Vision, den Rundfunk in ein partizipatives Medium zu verwandeln, indem die fixen Rollenzuteilungen von Sender und Empfänger aufgelöst und durch gleichrangige Akteure, die miteinander in Beziehung treten, ersetzt werden.

Durch die weitreichende Verbreitung des Internets kamen wir dieser Vision einen entscheidenden Schritt näher. Mit minimalem technologischen, finanziellen und organisatorischen Aufwand ist es möglich, sich Gehör zu verschaffen, auf Misstände aufmerksam zu machen, und das Netz aktiv mitzugestalten.

Institutionelle Kontroll- und Selektionsmechanismen können so umgangen werden. Neben der Chance, sich einerseits umfassend zu informieren und sich andererseits selbst an ein großes Publikum zu wenden, können neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs) auch zur vereinfachten (internationalen) Vernetzung und Koordination sozialer Bewegungen und Interessensgruppen eingesetzt werden. Daraus resultiert nicht zuletzt eine wesentliche Verbesserung zivilgesellschaftlicher Partizipation, was für funktionierende Demokratien unverzichtbar ist.

Bei aller Euphorie darf aber nicht aus den Augen gelassen werden, dass Technologien immer in einen gesellschaftlichen und politischen Kontext eingebunden sind und per se keine Garantie für ein Mehr an Demokratie, Partizipation und Gerechtigkeit darstellen. Das Internet steht nach wie vor in erster Linie Eliten westlicher Staaten zur Verfügung während weniger als 17 Prozent der Weltbevölkerung überhaupt Zugang dazu haben. Bedenkt man, dass nur drei Prozent der afrikanischen und zehn Prozent der asiatischen Bevölkerung online sind, fällt es schwer von einem globalen Internet mit globaler Stärkung der Meinungsfreiheit zu sprechen.

Hinzu kommt, dass in repressiven Staaten die Netznutzung stark unter staatliche Kontrolle gestellt ist – Zensur und politische Verfolgung stehen an der Tagesordnung. Am 6. November wurde der 22-jährige Ägypter Kareem Amer verhaftet und in die Justitzanstalt Alexandria gebracht um dort verhört zu werden. Anlass dafür waren islamkritische Äußerungen, die er in seinem Weblog veröffentlichte und wegen denen ihm die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorgeworfen wird. Kareem Amer ist ein wahllos herausgegriffener Fall der deutlich macht, dass Meinungsfreiheit auch in Zeiten des Internet kein garantiertes Gut darstellt. Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich derzeit allein in China 50 Online-AktivistInnen in Haft.

Mit dem Internet haben oppositionelle AktivistInnen und Gruppen zwar neue Mittel in der Hand, um sich international Gehör zu verschaffen und sich zu organisieren, aber ebenso werden diese Technologien von staatlichen Institutionen eingesetzt um ihre Kontrolle und Macht zu stärken. Unterstützt werden sie dabei nicht selten von westlichen Unternehmen, die ihre Services und ihr Know-How an das herrschende politische System verkaufen.

Prominente Beispiele dafür sind die Aktivitäten von Google und Yahoo in China. Während Google die Suchergebnisse im Sinne des Regimes filtert und zensiert, gab Yahoo Daten von systemkritischen Bloggern an die chinesische Regierung weiter, was zu deren Verhaftung führte.

Doch auch innerhalb der westlichen Welt wird das demokratiepolitische Potenzial des Netzes einerseits durch verstärkte Unternehmenskonzentrationen und Monopolstellungen und andererseits durch staatliche Kontrolle im Fahrtwind der Terrorangst untergraben – es herrscht eine etwas subtilere Form der Zensur. Nur wenige Player wie Google, Yahoo, Microsoft oder die traditionellen Medienkonzerne Bertelsmann oder Murdoch bestimmen einen Großteil der Web-Aktivitäten. Die Tendenz geht dabei wieder weg vom Netz als Mittel zivilgesellschaftlicher Partizipation und hin zum Internet als Medium der Massenunterhaltung. Probleme ergeben sich dabei aber auch im Umgang mit knappen Internet-Ressourcen wie Bandbreite oder Domainnamen.

Trotz dieser teils drastischen Einschränkungen ist aber nicht zu überhören, dass gesellschaftspolitische Kritik in weiten Teilen der Erde mit Hilfe neuer IKTs eine Spur lauter geworden ist. Letztlich bleiben diese Technologien aber immer nur Hilfsmittel, die von kritischen Bürgerinnen und Bürgern aktiv eingesetzt werden müssen, um deren demokratisches Potenzial entfalten zu können. (Christof Autengruber)

Erschienen im Kranich 4/2006