Realitäten und Perspektiven zur Netzneutralität. Wem gehört das Internet? Wem soll es gehören? Wer soll es organisieren? Fragen, die nicht nur die Teilnehmer des Internet Governance Forum (IGF) immer wieder beschäftigen. Telcos, Provider, Netzgiganten, Inhalte-Anbieter, Filesharer, Politiker etc. führen einen Kampf, welcher ausgetragen auf den meist ahnungslosen Usern, die Grundfesten des Internet erschüttern könnte. Auf dem Spiel steht die Netzneutralität.

Youtube, Joost und nicht zuletzt Youporn – um nur ein paar zu nennen – stehen exemplarisch für Inhalte-Anbieter, die im Zuge des Web 2.0 innert kürzester Zeit groß geworden sind und mit ihren audiovisuellen Galaxien die Herzen der User erobert haben. Einziger Wermutstropfen: Sie generieren ein derart enormes Datenvolumen, dass den Providern Angst und Bange wird. Diese sehen sich nicht darüber hinaus, für die nötigen Infrastrukturen aufzukommen um der Datenfluten Herr zu werden. Eben diese mangelnden finanziellen Kapazitäten nehmen sich die Provider zum Anlass um die Inhalte-Anbieter zur Kasse zu bitten.

Google und Microsoft, die ganz Großen also, ihres Zeichens Inhalte-Anbieter werden hier von den Providern ebenso ins Auge gefasst wie Traffic-lastige Bild und Videoblogger und nicht zuletzt P2P- und Torrent-Sauger. Wer bezahlt, darf die Vorzüge der „diamond lanes“ oder „express nets“ nutzen, während Nichtzahler aufs Abstellgleis kommen und sich zwangsbedingt ins Zeitalter der 28k Modems zurückversetzt fühlen müssen.

Dieses Szenario, wonach zur Verfügung gestellte Verbindungsqualität und Bandbreite, vergleichbar mit den Distributionsstandards der Post, allein von der Zahlkraft der NutzerInnen bzw. der Gunst der Provider abhinge, scheint keineswegs abwegig.

Angebote wie IPTV oder Online-Software-Services sind noch in der Entwicklungsphase und könnten, wenn ausgereift, zusammen mit ebenfalls Daten-lastigen Online-Games die Leistungskapazitäten der Leitungen tatsächlich sprengen und neue Investitionen unabdingbar machen.

Differenziert betrachtet, bleibt allerdings noch die Option, dass die Provider im Zuge des Konkurrenzkampfes alle Services aufrecht erhalten. Das glaubt jedenfalls die Europäische Kommission. Andernfalls bliebe im Sinne der Netzneutralität nur noch der juristische Riegel, der den Providern vorgeschoben werden müsste.

Dabei ist der Ärger der großen Telcos durchaus nachvollziehbar. Es erweist sich als bittere Ironie, wenn plötzlich VOIP-Anbieter wie Skype, die Leitungen vom US-Carrier und Telco AT&T, mit Millionen Skype-Anrufen täglich heiß laufen lassen.

Dann ärgert man sich dort nicht nur über die Unmengen an generiertem Datenvolumen, sondern wohl hauptsächlich über die Abwanderung der eigenen Kundschaft, die sich mit der kostenlosen Telefonie-Option besser bedient sieht. Wenn man bedenkt, dass täglich Terabytes an illegalen Raubkopien, Pornografie und Musik von P2P- sowie Torrentnetzwerken gezogen und die Verbindungen damit aufs äußerste strapaziert werden und künftig die Nutzung von Diensten wie HD-Streaming à la minute, an der Tagesordnung steht, dann liegen die Argumente der besorgten Telcos und Provider ebenfalls sehr nahe.

Eben jene Provider und Carrier der Leitungen wollen das Netz in seiner grundlegenden Struktur, wonach Datenpakete zu unterschiedslosen Verhältnissen, unabhängig von Ziel, Sender und Inhalt, verschickt werden, gänzlich umkrempeln.

Das technologisch determinierte „End-to-end“-Prinzip soll demnach durch ein eigenes, komplexes System, das den Datenverkehr analysiert, nach Inhalten ordnet, priorisiert bzw. filtert und abrechnet, ersetzt werden. Den einfacheren und vor allem kostengünstigeren Weg schlägt diesbezüglich das nicht kommerzielle Projekt „Internet2“ ein, welches mit seinem ultraschnellen Internet die Bandbreite einfach erhöht, anstatt komplexe und somit datenaufwendige Priorisierungssysteme zu integrieren, frei nach dem Motto „Einfacher ist besser.“

Auf dem im November letzten Jahres abgehaltenen Internet Governance Forum, kurz IGF, welches sich in vorwiegend beratender Funktion mit internationalen Regulierungsfragen des Internet beschäftigt, kam das Thema Netzneutralität erwartungsmäßig verstärkt zur Sprache.

Schon in der Eröffnungsrede wurde auf die Wichtigkeit der Thematik und die in diesem Zusammenhang anstehenden Herausforderungen hingewiesen. Der US-Wissenschaftler Milton Mueller von der Syracuse School of Information Studies warnte im Rahmen der IGF aber davor, den Begriff Netzneutralität und die damit verbundene Polemik auf das Vorgehen der Provider, nämlich Bandbreiten nach eigenem Ermessen zu verteilen, zu verkürzen. Er weist auch auf Verstöße von Regierungen hin, die durch die Filterung bzw. Blockierung von Inhalten das Prinzip der Netzneutralität verfehlen.

Auch das Internet Consortium for assigned names and numbers (ICANN) ließ Mueller mit seiner Kritik nicht aus. Diesem wirft er vor, mit der Aufschiebung der Einführung von längst geforderten neuen Top-Level-Domains, wie zB .berlin, und strengen Kriterien bei der Vergabe der Domains, ebenfalls nicht im Sinne der Netzneutralität zu handeln.

Fraglich bleibt allerdings, ob die Diskussionen im Rahmen des IGF auch fruchten und im schlimmsten Falle eventuelle Eingriffe in den gerecht verteilten Datenfluss verhindert werden können. Genau hier könnte das IGF auch ansetzen, Vorschläge vehement einfordern und sich vom Status des zahnlosen Tigers abheben.

Abschließend soll der Begriff Astroturfing, der im Zusammenhang mit der Dramatisierung der Netz-Situation durch zahlreiche Provider relevant sein dürfte, noch einmal erläutert werden: Wenn Provider oder Telcos mit Meldungen wie „Das Ende des Internet“ die Öffentlichkeit erschüttern, dann könnte diesem Phänomen auch der Neologismus Astroturfing zu Grunde liegen.

Danach werden vermeintlich weltbewegende Themen, im Interesse einiger weniger, auf unverhältnismäßige Weise aufgeblasen und in den öffentlichen Diskurs gestellt. Ende letzten Jahres versuchte man seitens der Provider auf diese Weise auf den nahen „Untergang“ des Internet hinzuweisen um damit eventuelle Restriktionsmaßnahmen in der Verteilung von Bandbreite zu legitimieren.

Die Diskussion um die Netzneutralität ist mit Sicherheit noch lange nicht ausgestanden. Frei, im Sinne von kostenlos ist das Netz sowieso nicht. Vereinzelt auftretende Aktionen, wie die Etablierung von freien Netzen, im Zuge dessen sich mehrere NutzerInnen eine Internetverbindung teilen bilden da eher die Ausnahme.

Freie Hotspots sind im internationalen Vergleich ebenfalls rar gesät. Netzneutralität kann aber auch eine Frage der Reichweiten sein, was wiederum impliziert, dass maximale Netzneutralität erst durch eine bessere Anbindung von Entwicklungsländern erreicht werden kann. Demnach müsste jede/r den Anspruch haben, die Vorzüge einer länderübergreifenden Netzneutralität auch nutzen zu können.

Ein schwieriges Unterfangen, wenn man an dieser Stelle noch bedenkt, dass auch Inhalteanbieter wie Google die Prinzipien der Netzneutralität untergraben indem sie Ergebnisse nach eigenen Regeln, unabhängig von Telcos und Providern und manchmal abhängig von Regierungen, filtern und damit Informationen auch vorenthalten. Doch damit eröffnen wir ein eigenes Kapitel.

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